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Beim folgenden Artikel handelt es sich um einen Erlebnisbericht meines Besuchs im Shunpûkan Dôjô in Nagoya und entstammt der Reihe „Das Dôjô: Kampf. Kunst. Kultur„.

Ein strenger Geruch lag in der Luft: Die kleine, grüne Spirale glimmte langsam, aber beständig, und verbreitete um den Ort wo ich Platz genommen hatte ein gewisses Sicherheitsgefühl, sollte es doch die Mücken – die mich hier in Japan scheinbar ganz besonders gerne stechen – von Sensei und mir fern halten. Sensei saß auf einem kleinen Stuhl und beobachtete unter wachsamen Augen das Tun und Machen seiner Schüler. Es waren gut 15 von Ihnen anwesend und gerade sollten die Techniken des Ôdachi geübt werden. Langsame, manchmal stockende aber bestimmte Bewegungen bei den einen, denen, die noch nicht weit fortgeschritten waren; schnelle, kleine, auf den Punkt gebrachte Bewegungen bei den Anderen.

„Michael, wissen Sie, in den Alten Zeiten war es unpraktisch, Techniken über Techniken, endlose Sequenzen von Techniken zu üben. Man wusste nie, wann man in die Schlacht ziehen musste und wenn man nur einen Teil gelernt hatte, fehlte einem immer noch der Rest um den Kreis zu schließen. Obwohl es auch in der Shinkage ryû lange Technikabfolgen gibt, so beginnt jedes Studium mit einem Schnitt, dem, der über Leben und Tod entscheidet. Stellen Sie sich einen Kreis vor. An einem Punkt befindet sich dieser eine Schnitt. Im Laufe ihres Studium kommen sie an vielen Punkten vorbei, Techniken, die es Ihnen ermöglichen, ihre Perspektive auf ihre Schule von Neuem erleben zu können. Am Ende kommen Sie aber immer wieder an dieser einen Technik vorbei, jener über Leben und Tod. Hier im Dôjô lehre ich meinen Schülern von Anfang an, dass es keine Abstufungen und Beschränkungen gibt. Nach zwei Jahren haben sie alle Techniken gelernt, doch sind es erst die Kuden, die diese nach und nach zum Leben erwecken und aus der rohen Form etwas Höheres schaffen. Im Speerkampf beginnt der Schüler von Anfang an mit dem Shiai, dem Kampf Mann gegen Mann, bevor er an die Kata und andere Dingen herangeführt wird. Wir zeigen ihm, wie man dem Speer gebraucht und leiten ihn an, diesen effektiv zu gebrauchen. Heutzutage fehlt es den Schulen des Kobudô an dieser Auseinandersetzung Mann gegen Mann. Natürlich, diese Techniken sind gefährlich und dienem einzig und allein dem Zweck, dem Gegenüber Schaden zuzufügen. Daher benutzen wir Schutzausrüstung, die seit Jahrhunderten überliefert worden ist. Auch unsere Fukurôshinai sollen dem Schüler die Möglichkeit geben, schneidend und empfangend das Gefühl eines Schnittes so gut es geht zu empfinden. Katageiko ist sehr gut, aber nur die möglichst echte Herausforderung durch einen Kampf macht aus der leeren Form eine Lebendige. Ich habe mich 70 Jahre den Kampfkünsten hingegeben und gebe jedem, der ernsthaft lernen möchte, mein Wissen mit Freuden weiter. Im Dôjô sind alle gleich, ob Japaner oder Ausländer. Wir alle folgen dem Weg in den Kampfkünsten, und das macht mich glücklich.“

Das Shunpûkan Dôjô 春風館道場 in Nagoya ist seit vielen Jahren Heimat der Owari-kan ryû, einer Schule des Speerkampfes. Die Techniken der Shinkage ryû, welche in der Owari-han gelehrt wurden, finden sich hier ebenso wie die Techniken der Enmei ryû, der Schule von Miyamoto Musashi. Durch einen Freund und Mitglied im Shunpûkan wurde ich Katô-sensei, dem Hauptlehrer der Schule, vorgestellt. Sensei war sehr nett und äußerst interessiert an meinem Background in der Shintô ryû und wie wir diverse Aspekte des Bujutsu durch unsere Techniken angehen. Es waren drei Stunden voller Wissen und einer Einführung in die Schulen des Shunpûkan. Sensei war insbesondere auch an den europäischen Techniken des Speerkampfes interessiert und hat explizit darauf hingewiesen, dass beide Arten, die japanische wie die europäische, die gleichen Wurzeln und Prinzipien verkörpern. Insbesondere die Wichtigkeit der Fuß- und Hüftarbeit hat er auf anschauliche Art und Weise dargestellt. Oftmals hat er mich gebeten, ihn mit einem Fukuroshinai anzugreifen, sodass er Techniken der Shinkage ryû ein wenig näher erläutern konnte. Auch war es ihm wichtig aufzuzeigen, wie z.B. ein Jô auf dem Schlachtfeld genutzt werden konnte: Anstatt reiner Holzwaffen verwendete man speziell angefertigte, mit Metalkern und Holzeinlagen, welche anschließend mit Urushi lackiert worden sind.
Im Laufe des Abends wurden verschiedene Waffengattungen trainiert, am interessantesten dabei waren die Speerkämpfe in Rüstung. Auch die Techniken des Odachi hatte ich zum ersten Mal aus der Nähe sehen können, welche ein altes Überbleibsel aus den Techniken der Kage ryû darstellen. Sensei hat förmlich gesprudelt: Ihm sei es wichtig, dass seine Schüler sich in stetiger Entwicklung befinden und auch reflektieren, was sie überhaupt machen. Daher bezeichnet er sein Dôjô auch als einen Ort zur Erforschung der Kampfkünste. Der Abend endete mit einer gemeinsamen Tasse Tee und leichtem Gebäck, doch zuvor durfte ich mich selbst an der Grundübung des Speeres probieren, in der Handhabung des Kuda-Yari und bekam zudem einen kleinen Einblick in die Nutzung des Kabutowari.

Das Dôjô an sich hatte einen wunderschönen, dunklen Holzfußboden. Diverse Waffen hangen und standen an den Wänden, darunter Yari von mehr als 3 Metern Länge, Naginata, Jizaiken, Ôdachi, Fukurôshinai in allen erdenklichen Ausführungen, Kabutowari, diverse Rüstungen, hölzerne und metallene Rokushakubô, stumpfe Übungsschwerter aus Metall und viele weitere Trainingsgeräte. Das Gebäude an sich steht im direkten Besitz von Katô-sensei: Im Erdgeschoss sowie im ersten Stock befanden sich die Räumlichkeiten seiner Firma zur Metallbearbeitung und im Zweiten das eigentliche Dôjô mit Anschluss an das anliegende Wohnhaus. Interessant war auch der kleine Shintô-Schrein auf einem Nebendach des Dôjô.

Katô-sensei ist 85 Jahre alt, doch spürte ich keine Anzeichen des Alters oder irgendwelcher Gebrechen. Als er mit Bokutô vor mir stand, dessen Spitze auf meine Kehle zeigend, ein Blick wie ein Fels, da wusste ich, dass ich einem wirklichen Lehrer und Meister gegenüber stand. Ihm lag viel daran, mir die kleinen Details seiner Lehre ein wenig näher zu bringen. Insbesondere auch das richtige Te-no-uchi lag ihm am Herzen, welches er mir im Detail erklärte. Zudem war es ihm wichtig zu zeigen, dass der Yari in der Owari-kan ryu eine überwiegend schneidende Waffe ist. Auch die Spezialität der Schule, eine spiralförmige Stichbewegung zu erzeugen, wurde mir auf anschauliche Art und Weise gezeigt.
Ebenfalls interessant zu beobachten war die Art und Weise, wie miteinander umgegangen wurde: Als kurz vor 19 Uhr die Schüler nach und nach eintrafen, unterbrachen diejenigen, die schon anwesend waren, ihr Tun und Machen und setzen sich in Richtung des Neuankömmlings auf den Boden. Letzterer tat es ihnen gleich und grüßte zunächst Sensei mit einem „Guten Abend“ und einer Verbeugung und bat anschliessend um Unterricht. Dieses wiederholte er an die anderen gerichtet ein zweites Mal, welche dieses ebenfalls sprachlich und durch eine Verbeugugn erwiederten. Mit jedem Mal wenn ein Schüler das Dôjô betrat, wurde dieses kurze Ritual von Neuem ausgeführt.

Es war ein interessanter und lehrreicher Abend im Shunpûkan Dôjô, zumal ich auch die Gelgenheit hatte, mich von einem Freund zu verabschieden, bevor es in drei Wochen wieder zurück nach Deutschland gehen soll. Alle waren sehr offen und Katô-sensei hat sich in seinen Fragen und Antworten nicht zurück gehalten.
Nach mehr als drei Stunden ging es glücklich und mit einer Visitenkarten sowie einem Infoheft über das Dôjô zurück in Richtung Nagoya-Station. Sollte ich noch einmal die Gelegenheit bekommen, dass Shunpûkan Dôjô zu besuchen, würde ich diese auf jedenfall wahrnehmen.

Kobudô muss bewahrt werden, als lebendige Kunst mit dem Anspruch, eine jahrhundertealte Kriegskunst in die Moderne zu tragen – das Shunpûkan Dôjô ist hierfür ein sehr gutes Beispiel.

Yours in Budo,
Micha

Hallo,

ein wirklich wunderschönes Interview mit Kato-sensei von der Owari-kan ryu wurde vor einiger Zeit auf Japanworld.info veröffentlicht:

Kato Isao. 13th Heir of the Owari Yagyu Shinkage Ryu,
and Master of the Shunpukan Dojo

Born to an Owari clan warrior family in 1933, and a descendant of the great samurai general, Kato Kiyomasa, Kato Isao began learning Judo, Karate and Kendo from the age of eight. From there he became a disciple of Owari Yagyu Shingake Ryu style under Kanbei Kanehichi  He inherited the leadership of the classical martial art and the Shunpukan Dojo from Master Kanehichi. The Shunpukan Dojo is currently operated from the second floor of his company’s factory.

Interview

Am Samstag werde ich die Gelegenheit bekommen, ihn einmal live erleben zu dürfen. Ich freue mich auf den Besuch im Shunpukan, in dessen Zuge ich mich auch von einem Freund verabschieden werde, einem Schüler von Kato-sensei.

Die Zeit in Japan neigt sich dem Ende…wer weiss, was noch alles kommen mag.

Yours in Budo,

Micha

"Wäre ich ein Tautropfen, so würde ich auf der Spitze eines Blattes Zuflucht suchen. Aber da ich ein Mensch bin, habe ich keinen Ort auf der ganzen Welt." - Saigo Takamori
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